• Treffer 35 von 840
Zurück zur Trefferliste

Zwischen Wahrheit und Evidenz. Eine wissenssoziologische Analyse der Debatte zwischen einem Neuen Realismus und Konstruktivismus

  • Debatten führen nicht immer zu einem Konsens. Selbst die Vorlage von Beweisen bewirkt nicht immer eine Überzeugung der Gegenseite. Dies zeigt sich nicht nur in der Geschichte der Wissenschaften (vgl. Ludwik Fleck, Bruno Latour), sondern auch in der in unterschiedlichen Disziplinen geführten zeitgenössischen Debatte unter dem Label ‚science wars‘ zwischen einem Realismus und Konstruktivismus beziehungsweise Relativismus. Unterschiede in ihren Legitimierungen zeigen systematisch verschiedene Wirklichkeits- und Wahrheitsverständnisse, die sich aus den vom Seinsstandort der Perspektive abhängigen Grundannahmen konstituieren. Über einen wissenssoziologischen Zugriff wird es möglich die (sozio-)strukturlogische Konstitution von Perspektivität zu analysieren, die eine epistemologisch vorstrukturierte Revolvierung untereinander inkommensurabler Beiträge in der Debatte aufdeckt, was als Erklärung für ungelöste Debatten in Wissenschaft, Politik und Alltag überhaupt fungieren kann. Die vorliegende Arbeit orientiert sich in ihrem Vorgehen an dem von Paul Boghossian veröffentlichten Werk ‚Angst vor der Wahrheit‘ als zeitgenössischen Vertreter eines Neuen Realismus. Hierbei werden zum einen den direkten Bezügen von Boghossian die Aussagen der kritisierten Perspektiven (v.a. Latour und Goodman) gegenübergestellt, als auch zum anderen weitere Spielarten eines Konstruktivismus (kognitionstheoretischer Konstruktivismus nach Maturana und Varela, soziologischer Konstruktivismus nach Berger und Luckmann, Wissenschaftssoziologie am Beispiel von Bloor und Latour, die Systemtheorie von Luhmann sowie postkonstruktivistische Positionen) in den Dimensionen ‚Wissensverständnis‘, ‚Subjektrelevanz‘ und ‚Einstellung zu einer naturalistischen Grundlage‘ vorgestellt. Es wird eine systematische und beidseitige Fehlinterpretation in der Debatte zwischen Realismus und Konstruktivismus sichtbar. Diese wird auf die Seinsgebundenheit von Perspektiven nach dem Verständnis einer mannheimschen Wissenssoziologie zurückgeführt. Anhand einer Rekonstruktion der Erkenntnistheorie des frühen Mannheims (1922: ‚Strukturanalyse der Erkenntnistheorie‘) wird die (sozio-)strukturlogische Konstitution erkenntnistheoretischer Elemente von Grundwissenschaften herausgearbeitet, wodurch denkstilgemäße Objektivierungen (und damit Wahrheitsverständnisse) unterschieden werden können. Diese Unterschiede erklären nicht nur die Inkommensurabilität von heterogenen Perspektiven in Debatten, sondern zeigen auf, dass das Aufeinandertreffen der Debattierenden vorstrukturiert sind. Der Ablauf einer Debatte ist soziostrukturell determiniert. Abschließend wird in der vorliegenden Arbeit diskutiert, inwiefern der verfahrenen Situation einer Debatte entgegengewirkt werden kann und auf welche Weise eine wissenssoziologische Analyse zu einem gegenseitigen Verständnis zwischen debattierenden Parteien beitragen kann.
  • Some debates – no matter how long or intense – don’t seem to lead to a consensus. How is it possible that even within fields of science or debates with science the presentation of evidence doesn’t ensure a change of view of the opposing side? Unresolved debates can not only be found in the history of science (cf. Ludwik Fleck, Bruno Latour), but also in the contemporary debate conducted in different disciplines under the label 'science wars' between a realism and constructivism or relativism. Differences in their legitimations show systematically different understandings of reality (physical vs. social) and truth, which are constituted by the basic assumptions that depend on the ‚Seinsgebundenheit‘ (binding to the location of being). Using a ‚sociology of knowledge’, it is possible to analyze the (socio-)structural logic of the constitution of perspectivity, which reveals an epistemologically pre-structured revolving of mutually incommensurable contributions to the debate. This understanding can function as an explanation for why debates in science, politics and everyday life stay unresolved. This paper is oriented at Paul Boghossian's ‚Fear of Truth‘ (2006) as a contemporary representative of a New Realism. In an analysis the criticism made by Boghossian is contrasted with the statements of the criticised positions. Firstly, Boghossian's direct references are juxtaposed with the statements of the criticised perspectives (especially Latour and Goodman). Furthermore, other variants of constructivism (namely the cognitive constructivism according to Maturana and Varela, sociological constructivism according to Berger and Luckmann, sociology of science as exemplified by Bloor and Latour, the systems theory of Luhmann as well as postconstructivist positions) are presented regarding the dimensions 'understanding of knowledge', 'relevance of the subject' and ‚perspective towards a naturalistic basis’. A systematic and bilateral misinterpretation in the debate between realism and constructivism becomes visible. With a reconstruction of the epistemology of early Mannheim (1922: 'structural analysis of epistemology') the perspectives can be analyzed regarding their structure of logic and the epistemological elements within. With a ‚sociology of knowledge‘ different modes of objectivizations that are typical for distinct ‚Denkstile‘ (thought styles) can be distinguished. These differences already exist before the debate starts and prestructure the outcome of any debate taking place. The incommensurability of heterogeneous perspectives is predetermined and explains why debates don’t lead to a consensus. Finally, this paper discusses to what extent the gridlocked situation of a debate can be counteracted and in what way a ‚sociology of knowledge‘ can overcome the incommensurability and facilitate a mutual understanding between debating parties.

Volltext Dateien herunterladen

Metadaten exportieren

Metadaten
Verfasserangaben:Christoph GossingGND
URN:urn:nbn:de:hbz:385-1-20739
DOI:https://doi.org/10.25353/ubtr-2be9-244d-9c38
Gutachter:Andreas Göbel
Betreuer:Martin Endreß
Dokumentart:Dissertation
Sprache:Deutsch
Datum der Fertigstellung:10.10.2023
Veröffentlichende Institution:Universität Trier
Titel verleihende Institution:Universität Trier
Datum der Abschlussprüfung:15.03.2023
Datum der Freischaltung:24.10.2023
Freies Schlagwort / Tag:Wissenssoziologie, Karl Mannheim, Paul Boghossian, science wars, Relationismus, Denkstile, Objektivierungsweisen, Wirklichkeits- und Wahrheitsverständnisse, Seinsgebundenheit, perspektivische Vorstrukturierung, Inkommensurabilität, Debatten
sociology of knowledge, Karl Mannheim, Paul Boghossian, science wars, relationism, thought styles, ways of objectivization, understandings of 'reality' and truth, prestructuring of perspectives, incommensurability, debates
GND-Schlagwort:Konstruktivismus; Realismus; Wissenssoziologie
Seitenzahl:243 Seiten
Erste Seite:2
Letzte Seite:243
Institute:Fachbereich 4 / Soziologie
DDC-Klassifikation:3 Sozialwissenschaften / 30 Sozialwissenschaften, Soziologie / 300 Sozialwissenschaften
Lizenz (Deutsch):License LogoCC BY-NC-SA: Creative-Commons-Lizenz 4.0 International

$Rev: 13581 $